Theater mit Tradition

Theater unter freiem Himmel

Seit nahezu 65 Jahren finden im Sommer vor dem Portal der mehr als 1000 Jahre alten romanischen Stiftskirche die Gandersheimer Domfestspiele statt. Das größte professionelle Freilichttheater in Niedersachsen zieht jährlich über 60.000 Menschen in den Bann. Mit ihren Schauspiel- und Musiktheater-Inszenierungen sind die Gandersheimer Domfestspiele zu einem Markenzeichen geworden, das weit über die Region hinaus Beachtung findet.

In Bad Gandersheim gibt es eine fünfte Jahreszeit. Sie beginnt im Mai, wenn vor der Stiftskirche die große Tribüne aufgebaut wird und aus allen Himmelsrichtungen die Schauspieler und Regisseure, die Bühnentechniker und Maskenbildnerinnen in die kleine Stadt mit dem großen Theater kommen. Jedes Jahr aufs Neue bildet sich ein neues Ensemble, das Theater für und mit den Menschen kreieren will.

Bei den Gandersheimer Domfestspielen gibt es einen direkten Draht zwischen den beiden Spielpartnern beim Theater: die enge, fast schon familiäre Verbindung zwischen Publikum und dem Ensemble. Dieses Ensemble ist nicht nur in der Stadt, um abzuliefern und dann wieder in die Metropolen Europas zurückzukehren, auf die nächsten Bühnen. Es ist hier, um zusammen mit allen Interessierten hier zu leben, das Leben zu erweitern, zu vervollständigen und jedes Jahr aufs Neue in den Sommer hinein zu begleiten.

Künstler und Zuschauer warten vor, auf und hinter der Bühne auf diesen unbeschreiblichen Augenblick, wenn das Spiel beginnt. Bei den Gandersheimer Domfestspielen ist der Zuschauer noch mehr Teil des ganzen Erlebnisses als er es bei Theater sowieso schon ist. Die Mitglieder des Ensembles bewegen sich von den Garderoben über den Platz durch die Menschen hindurch zur Bühne. Gespannt warten einige Zuschauer auf den einen oder anderen, den man persönlich kennt, mit dem man schon mal zusammengesessen hat, den man beim Einkaufen getroffen hat oder der sogar bei einem wohnt. Und nach der Vorstellung sind die Darsteller präsent, verschwinden nicht durch einen Hinterausgang schnellstmöglich weg von diesem Ort.

Alle Mitglieder des Ensembles sind in Bad Gandersheim nicht nur um Theater zu machen, sondern um hier zu leben. Das ist das Unvergleichliche der Gandersheimer Domfestspiele und ihr Alleinstellungsmerkmal. Es ist etwas Magisches, etwas Unbeschreibliches. Jeden Sommer kreieren alle gemeinsam hier ein großes Miteinander, ein kleines Wunder in der Provinz. Das kann nur dieser Festspielort leisten.

Theater ist ein großes Gemeinschaftserlebnis. Wenn alle gemeinsam bei den Gandersheimer Domfestspielen unter freiem Himmel vor der Stiftskirche Theater erleben, dann reflektieren sie über das Leben, werden zum Denken und Fühlen animiert. Hier verschmelzen alle mit den anderen Menschen im Zuschauerrund und betrachten die Geschichten, die sich vor ihnen abspielen, und manchmal erkennen sie sich darin wieder.

Wie alles begann

Zur 1100-Jahrfeier des Stiftes im Jahre 1952 wurde im Rahmen einer großen Festwoche das historische Freilichtspiel „Das Lied von Gandersheim“ von Herta Sellschopp auf dem Marktplatz und vor dem Rathaus inszeniert. Die künstlerische Leitung übernahm Eberhard Gieseler. Diese Aufführung begeisterte die Menschen und legte den Grundstein für die Gandersheimer Domfestspiele. Gieseler war zu der Zeit Intendant des gerade gegründeten Kulturwerks Bundesweihestätte Burg Greene. Im künstlerischen Programm des Kulturwerks war von Anfang an von Burgfestspielen in Greene und von Domfestspielen in Bad Gandersheim die Rede. Auf Burg Greene inszenierte Gieseler von 1952 bis 1958 verschiedene Stücke.

Für die Umsetzung seiner größeren Vision musste er aber trotz des erfolgreichen und offenbar äußerst beeindruckenden Festspiels von 1952 sieben Jahre lang kämpfen bis es zur ersten Aufführung vor dem Dom kam.

Mitte Juni 1959 signalisierte schließlich der Aufbau der Holztribüne, dass die Vorbereitungen auf die ersten Gandersheimer Domfestspielen auf einem guten Weg waren. Nach den organisatorischen Belangen rückten jetzt die Proben und die prominenten Darsteller und Darstellerinnen in den Mittelpunkt des Interesses. Nach einer kompakten Probenzeit von rund drei Wochen und einer Generalprobe vor 1000 Schülern und Schülerinnen feierten die Gandersheimer Domfestspiele am 4. Juli 1959 ihre als „glanzvoll“ beschriebene Eröffnungspremiere mit „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Die bis zum 18. Juli angesetzten zehn Vorstellungen waren mehr als ausverkauft.

Gustav Fröhlich 1959 im „Jedermann“

Probenzentrum

Mit dem neuen, 2021 in Betrieb genommenen Probenzentrum in der Neuen Straße 60a in Bad Gandersheim haben die Gandersheimer Domfestspiele etwas geschaffen, was einzigartig in der deutschen Festspiellandschaft ist: ein Produktionsort, der es dem Team ermöglicht, alle vier großen Produktionen für die Bühne vor der Stiftskirche zeitgleich zu proben.

Das Probenzentrum besitzt zwei große Probebühnen, die komplett mit Ton- und Lichttechnik theatergerecht ausgestattet sind. Garderoben, Duschen und Waschräume ermöglichen ein entspanntes Arbeiten, der Clubraum mit großer Küche steht dem ganzen Ensemble als Pausen- und Aufenthaltsraum zur Verfügung. Ein Musikzimmer optimiert die musikalischen Proben, und der großzügige Keller erweitert die Lagermöglichkeiten und erleichtert die Logistik.

Außerhalb der Domfestspielzeit steht das Probenzentrum als kultureller Ort der Bevölkerung von Bad Gandersheim und der Region, aber auch den theaterpädagogischen und kulturvermittelnden Angeboten der Gandersheimer Domfestspiele zur Verfügung.

Black Box. Fotos: Julia Lormis

Großer Saal. Fotos: Julia Lormis

Intendanten der Gandersheimer Domfestspiele